Wie wir zu besseren Entscheidungen kommen

Im Epizentrum von Gegenwart und Zukunft stehen unsere Entscheidungen. Das gilt für das Wohlergehen von Privatpersonen ebenso wie für das Gedeihen von Unternehmen. Katastrophen wie an der Ahr oder in Afghanistan haben uns in den letzten Wochen die Bedeutung von Entscheidungen drastisch vor Augen geführt. Dabei sind es zumeist nie nur die Entscheidungen einer Person, sondern es ist eine Kette oder ein Gefüge von Entscheidungen, die bzw. das letztlich zu einem bestimmten Endergebnis führt. Ein kurzer Blick auf die Geschehnisse um die Flutkatastrophe in diesem Sommer soll dies verdeutlichen.

Die Sache mit der Sorgfalt

In zwei Artikeln auf der Website von SWR Aktuell vom 10.8. (Links am Ende des Beitrags) erhalten wir Auskunft über Trier und Ahrweiler.  Zunächst Trier: Als Hauptproblem wird die mangelnde Abstimmung von Meldesystemen genannt, aufgrund derer die Warnmeldungen ins Leere gelaufen seien. Aufgrund von Fehlern bei der Übertragung von einem System in das andere, seien nicht die richtigen Verbreitungsmedien ausgewählt worden. Ob die Übertragung von einem Formular zum anderen systemseitig oder durch Menschen erfolgte, ist dem Artikel nicht eindeutig zu entnehmen. Die Entscheidungen, die zu dem Problem führten, wurden somit entweder schon vor längerer Zeit, d. h. bei der Programmierung oder Gestaltung der Meldesysteme, getroffen oder in der fraglichen Nacht.

Die Sache mit den Annahmen

Weiterhin bemerkenswert ist, dass das Problem mit dem Meldesystem bekannt war. Offensichtlich wusste der Einsatzleiter, der zehn Warnmeldungen darüber absetzte, aber nichts davon. Wie hätte er sonst „davon ausgehen können“, dass die Meldungen ordnungsgemäß angekommen sind? So stellt sich die Frage, aufgrund welcher Entscheidungen die Informationskette nach dem Erkennen des Problems abgerissen ist. Wurde die Tragweite und Priorität des Problems vielleicht falsch eingeschätzt? Die Formulierung des pfälzischen Innenministeriums, man wisse von einem „möglichen Aktualisierungsbedarf“ und warte auf eine „Rückmeldung vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe“ könnte darauf hindeuten.

Die Sache mit der Tonalität

Aber auch die Tonalität der Warnmeldungen ist interessant. In der ersten Meldung um 19:01 Uhr hieß es: „In den nächsten Stunden sind starke Regenfälle, schnell steigende Flusspegel und Unwetter zu erwarten. Es besteht Hochwassergefahr.“ In einer Warn-App war für den Zeitraum 13.-15.7. von „extrem ergiebigem Dauerregen“ die Rede. Dazu wurden mögliche Niederschlagsmengen pro Quadratmeter genannt. Ein Katastrophenalarm klingt anders. Wer nicht deutlich gewarnt wird und etwa nicht in der Lage ist, Niederschlagsmengen in Bedrohungsszenarien zu übersetzen, wird nicht entscheiden, sich und die Seinen in Sicherheit zu bringen. Er räumt vielleicht höchstens den Keller frei und geht dann ins Bett. Schlafende erreicht man mit der zweiten Meldung um 1:05 Uhr nicht mehr. Da braucht es Sirenen und die Feuerwehr, die mit Lautsprechern durch den Ort fährt.

Die Sache mit der Zuständigkeit

In Ahrweiler wurde offensichtlich überhaupt keine Warnmeldung abgesetzt oder nicht in der gebotenen Deutlichkeit. Der ein oder andere fühlte sich wohl nicht zuständig. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassung. Auch etwas zu unterlassen, ist eine Entscheidung.

Bessere Entscheidungen ermöglichen, Komplexität meistern

Sorgfalt, Annahmen, Tonalität, Zuständigkeit – dies sind nur ein paar der Faktoren, die Einfluss auf Entscheidungsprozesse haben. Entscheidungsprozesse sind komplexe Gebilde mit verknüpften Kausalitäten.  Im Unternehmensalltag geht es nur selten um Leib und Leben, doch immer um das langfristige Gedeihen des Unternehmens. Deshalb sollte es ein zentrales Anliegen sein, die Entscheidungskompetenz der Mitarbeiter allgemein zu erhöhen, damit sie sich in dieser Komplexität souverän bewegen können.

Individuelle Entscheidungskompetenz

Dabei geht es zunächst um die Förderung der individuellen Entscheidungskompetenz. Darum, was gegeben sein muss, damit die internen Übersetzungsprozesse zwischen unseren zentralen Entscheidungsinstanzen – Herz, Hirn und Bauch – funktionieren. Eigenschaften wie  Offenheit und Besonnenheit sowie Fachkenntnisse oder Erfahrung gehören dazu. Individuelle Angebote zur Förderung dieser Fähigkeiten spielen dabei einen ebenso große Rolle wie die Unternehmenskultur, das hierarchische Gefüge, strategische Vorgaben, Vergütungs- und Anreizstrukturen oder Arbeitszeitmodelle, die allesamt die Entwicklung individueller Entscheidungskompetenz ermöglichen oder behindern können.

Schnittstellenkompetenz

Damit komplexe Entscheidungsprozesse funktionieren, braucht es aber nicht nur individuelle Entscheidungskompetenz, sondern auch die Fähigkeit, andere in die Lage zu versetzen, ebenfalls angemessene Entscheidungen zu treffen. Dabei geht es um die Fähigkeit, als „Relaisstation“- d. h. als Empfänger und Sender in einem Entscheidungsgefüge  –  Informationen und Emotionen wirksam zu übersetzen und weiterzugeben. So muss man in der Lage sein, genau und vorurteilsfrei zuzuhören und das Gehörte gründlich zu verarbeiten. Ferner muss man die Empfänger kennen, um Informationen korrekt, verständlich und in der richtigen Tonalität an die nächste(n) Relaisstation(en) weiterzugeben. Auch braucht man Mut zu Klartext, um klar und deutlich auf Missstände hinzuweisen oder Gefahren unmissverständlich zu benennen. In einem internationalen Unternehmen kommt die Fähigkeit hinzu, dies ebenso zuverlässig in einer oder mehreren anderen Sprachen und zwischen verschiedenen Kulturräumen zu tun.

Neben der individuellen Befähigung sind den Mitarbeitern für die „Schnittstellenarbeit“ außerdem Strukturen und Tools an die Hand zu geben, die sie bei den erforderlichen Übersetzungsprozessen unterstützen. Hilfreich sind etwa Corporate oder Vendor Directories, denen man etwa wichtige Informationen zu den Empfängern in einer Informationskette entnehmen kann. Ebenso kann ein performanter Sprachendienst erforderlich sein oder bestimmte Leistungsmerkmale bei Video- oder Audio-Conferencing-Systemen.

Vor allem aber sollte ein Bewusstsein dafür herrschen, was an den Schnittstellen schiefgehen kann. Was schiefgehen kann, beschreibt etwa der ehemalige deutsche Botschafter in Afghanistan, Hans-Ulrich Seidt, in der NZZ vom 18.8. sehr drastisch. So hätten viele Parteien, wie etwa Nachrichtendienste oder NGOs, seit Jahren vor einem Scheitern in Afghanistan gewarnt. Die „raw intelligence“ gehe allerdings durch viele Hände, bis sie auf der obersten Ebene ankommt. Dabei werde, so Seidt, „so lange gefeilt, bis es ins Bild der politisch Verantwortlichen passt“.

Mit Fragen gegen Potemkinsche Dörfer

Wenn dies passiert, verwandeln sich Unternehmen früher oder später in Potemkinsche Dörfer, in denen keine nachhaltige Zukunft gedeihen kann. Jenseits aller Angebote, Tools, Leitlinien oder Strukturen, mit denen sich dem vorbeugen lässt, kann jeder und jede unmittelbar zur Vorbeugung beitragen, indem er oder sie sich im Entscheidungsprozess ein paar Fragen stellt. Wie etwa: Habe ich ausreichend Zeit, um meinen Aufgaben gerecht zu werden? Verfüge ich wirklich über die notwendigen Fachkenntnisse, derer es bedarf? Sehen wir wirklich das ganze Bild oder fehlen noch Informationen? Sitzen alle von einer Entscheidung Betroffenen am Tisch? Gibt es Gefahren in meinem Projekt, und habe ich deutlich und an der richtigen Stelle gewarnt? Handelt es sich bei den Informationen, die ich weitergebe, um Fakten oder vielmehr um Projektionen oder andere Annahmen? Habe ich dies geprüft und in meinen Formulierungen kenntlich gemacht? Verfüge ich wirklich über die notwendigen Sprachkenntnisse, derer es an dieser Schnittstelle bedarf? Sind die Sitzungsformate geeignet, um zu einer durchdachten Entscheidung zu kommen?  Bin ich heute wirklich wach/ausgeglichen/ unvoreingenommen genug, um die erforderliche Entscheidung zu treffen?

Weil die Zukunft davon abhängt

Je nach Situation und Unternehmen stellen sich andere Fragen. Dass sie gestellt werden, ist das Entscheidende. Die Menschen in einem Unternehmen individuell zu befähigen und kulturell sowie strukturell dabei zu unterstützen, diese Fragen zu stellen und angemessen zu beantworten, wird insgesamt zu besseren Entscheidungen führen. Bessere Entscheidungen zugunsten des Wohlergehens und der Zukunftsfähigkeit des eigenen Unternehmens aber auch zum Wohle all jener, die wir in unserem „Ökosystem“ mit unseren Entscheidungen berühren.

© Sabine Breit

https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/trier/warnmeldungen-aus-trier-kamen-nicht-bei-radiosendern-an-100.html

https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/koblenz/kreis-ahrweiler-keine-warnmeldung-100.html

Die Stunde der Erklärer

Merkwürdig ist es gerade. Alles steht still und trotzdem passiert so viel. Und alles gleichzeitig. Das Virus verbreitet sich exponentiell und ebenso exponentiell geht das Wirtschaftsleben in die Knie. Schwächen und Stärken werden sichtbar. Beim Einzelnen, wie in Gemeinschaften und Systemen. Der Zusammenhalt in der Gesellschaft wird auf eine Zerreißprobe gestellt. Alte Modelle und Ansätze bringen uns nicht mehr weiter. Standardlösungen erweisen ihre mangelnde Eignung.

Kein Wunder, dass es viele von uns gerade mit der Angst zu tun bekommen. Dass man den Überblick verliert. Dabei ist gerade Letzteres in Zeiten wie diesen, wie auch in jeder anderen Krise, von größter Bedeutung. Den Überblick zu behalten. Einzeln und gemeinsam. Für sich und für andere. Wer in Unternehmen gerade aufmerksam unterwegs ist, wird feststellen, dass es Mitarbeiter gibt, die dies besser können als andere. Menschen, die die Ruhe bewahren und genau zuhören, die Informationen aus unterschiedlichen Quellen einsammeln und gründlich verarbeiten, um diese dann so zu vermitteln, dass alle es verstehen und mit im Boot sind.

Offene Empfangs- und Sendekanäle

Was macht diese Menschen aus? Vereinfachend kann man sagen, sie verfügen über offene Empfangs- und Sendekanäle. Und das beginnt im Innenleben. Auf welche Weise auch immer, ist es diesen Menschen gelungen, eine Präsenz, Gelassenheit und innere Offenheit auszubilden, die es ihnen ermöglicht, vorurteilsfrei rauszugehen, zu beobachten, zuzuhören und so zu erfassen, was wirklich ist. Wie die Situation im Hier und Jetzt wirklich aussieht. So sind sie in der Lage, verschiedenen Experten und Standpunkten genau zuzuhören und sich diese erklären zu lassen, ohne der Versuchung zu erliegen, sich kurzschlussartig auf eine Seite zu schlagen.

Dank ihrer inneren Offenheit und Wahrnehmungsstärke können sie diese Informationen objektiv verarbeiten und zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Und gegebenenfalls auch nochmal nachfragen und um Klärung bitten. Weil sie zumeist auch kein großes Ego daran hindert, fehlendes Wissen oder Verständnis zuzugeben.

Ferner verstehen sie es, dieses Gesamtbild leicht verständlich und in der richtigen Tonart zu vermitteln. Dabei verwechseln sie Transparenz nicht mit dem Abladen schwer einzuordnender Datenhalden, nur damit man sie selbst los ist. Gleichermaßen sind sie keine „Storyteller“, denn es geht nicht um einen „Spin“ oder ein leicht verdauliches Geschichtchen. Vielmehr geht es um Ehrlichkeit. Darum, ein aktuelles, wahrheitsgemäßes Gesamtbild so zu vermitteln, dass die Empfänger weder in Schockstarre noch in hektischen Aktionismus verfallen, sondern auch in Krisen besonnen und handlungsfähig bleiben. Und zuversichtlich. „Erklärer“ verfügen nämlich auch über die nötige Empathie, um Menschen in schwierigen Zeiten – real oder virtuell – bei der Hand zu nehmen bzw. ihnen einen Raum zu geben, in dem Sorgen und Ängste stattfinden dürfen, ernstgenommen werden und sich dann auch auflösen können.

Erklärer finden und sich entwickeln lassen

Zuweilen sind diese tragenden Säulen in Krisenzeiten nicht unbedingt die, von denen man es erwartet hätte. Es lohnt sich aber, nach diesen Menschen Ausschau zu halten und sie sich für „höhere“ Aufgaben im Unternehmen zu merken. Denn wer in einer Krise souverän mit Komplexität umgehen kann, kann es im Tagesgeschäft allemal

Wenn die akuteste Phase der Krise vorbei ist, kann man sich auch überlegen, wie man die Fähigkeiten, über die die Erklärer verfügen, großflächiger im Unternehmen zum Gedeihen bringen kann. Denn zum Erklärer wird man nur selten geboren. Zumeist ist man durch verschiedene Erfahrungen und ernsthafte Arbeit an der eigenen Persönlichkeit dazu geworden.

Unternehmen können einen Rahmen für diese Entwicklung bieten. Etwa indem sie Angebote bereitstellen, die die Kommunikations- und Reflexionsfähigkeit der Mitarbeiter fördern. Oder indem sie auf vielfältige Weise Zeit und Raum schaffen, in dem Persönlichkeit und Besonnenheit reifen können. Das kann damit beginnen, dass man Mitarbeitern explizit vermittelt, dass E-Mails nicht alle umgehend beantwortet und nicht alle Entscheidungen im Sekundentakt gefällt werden müssen. Und es kann darin münden, dass man Meditationsräume oder Dachgärten einrichtet bzw. anlegt und die Mitarbeiter einlädt, diese auch während ihrer Arbeitszeit zu nutzen. Oder irgendetwas dazwischen, ganz wie es zum Unternehmen passt. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Was auch immer dazu beiträgt, geistige Offenheit, Besonnenheit und Kommunikationsfähigkeit zu stärken, stärkt auch die Zukunftsfähigkeit und Krisenfestigkeit eines jeden Unternehmens.

© Sabine Breit

Digitalisierung – so ein komisches Bauchgefühl

Wir mögen unsere kleinen digitalen Helferlein – das Schlauphon, das Navi, die Apps für den Fahrkartenkauf und die Musikerkennung. Trotzdem machen wolkige Begriffe wie Digitalisierung und künstliche Intelligenz vielen Menschen irgendwie Angst. Da ist so ein komisches Bauchgefühl.

In ihrem Standpunkt für das Portal „Netzwerk Ethik heute“ setzt sich Sabine Breit mit der Frage auseinander, wie die „Digitalisierung“ zu einer Standardisierung unseres Verhalten, unserer Sprache und unseres Denkens führen kann, was das für Qualifikation und Vielfalt bedeutet, ob wir als standardisierte Wesen leichter durch Algorithmen zu ersetzen sind und wie wir selbst Einfluss auf diese Entwicklungen nehmen können. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen.

Kampflos glücklich

Worte formen unser Denken und unser Denken formt die Worte. So gehen Worte und Begrifflichkeiten (Logos) und der jeweilige „Zeitgeist“ (Logos) schon seit jeher eine Allianz ein und verstärken sich wechselseitig. Egal ob in der Gesellschaft insgesamt oder in Unternehmen, in denen der interne Zeitgeist gerne mit dem Begriff der „Unternehmenskultur“ zusammengefasst wird. In ihrem Essay für das Portal „Netzwerk Ethik heute“ setzt sich Sabine Breit mit der Frage auseinander, wie der Begriff des „Recht des Stärkeren“ und moderne Varianten davon bis heute Gesellschaft und Unternehmenslandschaften prägen, weshalb dieses kompetitive Konzept uns nicht mehr weiter bringt und wie eine wahrhaft kooperative, zukunftssichernde Unternehmenskultur über Sprache, Begrifflichkeiten und strukturelle Zeichen nachhaltig verankert werden kann. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen.