Warum virtuelle Meetings keine Dauerlösung sind

In der Corona-Krise sind viele Unternehmen, Selbstständige, Veranstalter und Institutionen gezwungen, ihre Arbeitsabläufe und Angebote auf „online“ umzustellen. Wäre das ein Modell für die Zukunft?

Warum nicht Uni-Vorlesungen, Konferenzen, Sitzungen nur noch oder vorwiegend virtuell stattfinden lassen? Warum nicht ganzjährig Home Office im Schlafanzug? „Social Distancing“ sozusagen als Alltag statt als Ausnahmezustand.

Zweifelsohne ist es in Ausnahmezeiten wie diesen äußerst hilfreich, wenn man digitale Angebote und Tools zur Verfügung hat, um sich zu behelfen. So kann die Kommunikation und Koordination aufrechterhalten werden. So können wir in unserer Isolation doch irgendwie mit anderen im Gespräch bleiben.

Zweidimensional ist zu eindimensional

Diesen Ausnahmezustand zum sogenannten „New Normal“ machen zu wollen, wäre allerdings in vielerlei Hinsicht problematisch.

Nehmen wir als Beispiel kleinere Sitzungen für die tägliche Arbeit. Die Möglichkeit zu haben, auch von zuhause aus zu arbeiten, ist prima. Sie gibt uns Freiheit und Autonomie. Die Möglichkeit, zu einer kurzen Sitzung auch einmal mit Hilfe einer Videoanwendung zusammenkommen zu können, spart Zeit und Reisekosten und ist auch für die Umwelt gut.

Sie aber zum Standard für alle Tage und alle Arbeits- und Sitzungssituationen zu machen, wäre unsachgemäß. Denn digitale Kommunikation ist immer zweidimensional und auf die Wahrnehmung durch die Ohren und Augen beschränkt. 60 Prozent der menschlichen Kommunikation besteht aber nicht aus Worten. Subtile nonverbale Zeichen, die Wahrnehmung über den gesamten Körper, gehen im Virtuellen unweigerlich verloren. Außerdem verhalten wir uns vor einem Bildschirm anders als im direkten Austausch. Wir bewegen uns in unseren Online-Fenstern in einem standardisierten, vorgegebenen Rahmen. Wenn die Videokamera angeht, ist Showtime. So wird unsere Wahrnehmung des Gegenübers eingeschränkt. Ferner geht es bei Video- oder Telefonkonferenzen noch mehr um Effizienz als ohnehin schon. Man wählt sich für einen bestimmten Zeitraum als Gruppe ein, um etwas Spezifisches abzuarbeiten. Da ist kaum Raum für einen Plausch am Rande. Da begegnet sich niemand zufällig.

Es geht um Vertrauen

Im Übermaß betrieben würde eine Virtualisierung der Arbeitswelt so auf Sicht unsere Beziehungen verarmen lassen. Denn im Arbeitsalltag geht es nicht nur darum, möglichst effizient Informationen auszutauschen, sondern um das komplexe Miteinander von Menschen. Um den vertraulichen Plausch unter vier Augen an der Kaffeemaschine oder auf dem Flur, auf dem Weg zum gemeinsamen Meeting. Darum, in der Kantine miteinander zu sitzen, zu scherzen und sich zusammen über das Menüangebot zu ärgern – oder zu freuen.

All die scheinbar kleinen und flüchtigen Momente, die wir in Fleisch und Blut miteinander teilen, gehen im Virtuellen verloren. Sie sind aber die Voraussetzung dafür, dass Vertrauen entstehen kann. Und ohne Vertrauen gibt es in einem Unternehmen auf Dauer weder eine funktionierende Zusammenarbeit noch Zusammenhalt, der insbesondere in schwierigen Zeiten essenziell ist.

Gute, gewachsene Freundschaften kann man über große Distanzen eine ganze Weile über Telefon oder Skype aufrechterhalten. Aber irgendwann ist es auch mal wieder an der Zeit, sich von Angesicht zu Angesicht zu treffen. Auch, um subtile Verstimmungen auszuräumen, die sich bei der „Fernkommunikation“ einschleichen können.

Menschen, denen man nie begegnet und mit denen man immer nur digital kommuniziert, bleiben hingegen wenig greifbar. Sie bleiben „virtuell“, d. h. nicht echt, sondern nur echt erscheinend. Wenn mehrere Wahrnehmungskanäle abgeschnitten sind, können wir nur schwer einordnen, mit wem wir es wirklich zu tun haben. Wir vermögen im wahrsten Sinne des Wortes nur schwer zu beurteilen, ob wir uns wirklich riechen können. Oftmals ist die Überraschung groß, wenn wir einander dann tatsächlich begegnen. In die ein oder andere Richtung. Das ist im Unternehmen wie beim Online-Dating.

Fragile Beziehungen und Vereinzelung von Menschen

Würde ein Unternehmen große Teile seiner Arbeitsbeziehungen rein über virtuelle Verbindungen abwickeln, weil sich etwa Teams oder Berichtslinien über Kontinente verteilen, ohne dafür zu sorgen, dass sich diese Menschen auch immer mal wieder in Fleisch und Blut begegnen, entstünde ein extrem fragiles Beziehungsnetz. Ein Netz, das im Zweifelsfall nicht trägt, weil das Vertrauen nur mäßig ausgeprägt sein kann. Es wäre ein eher grobmaschiges Netz, durch das auch Menschen, die dem Unternehmen schaden, leichter schlüpfen könnten. Weil man sich im Virtuellen eben auch besser verstellen kann.

Aber auch jedem Einzelnen würde etwas genommen. Wie etwa die Möglichkeit, sich mit Kollegen wirklich Auge in Auge vertraulich auszutauschen – über Privates oder Berufliches. Ohne dass Zoom und Co. mithören. Wir hätten weniger Gelegenheit, um gemeinsam im selben Raum Erfahrungswissen zu sammeln und uns dann auch gegebenenfalls zu solidarisieren, etwa wenn ein Kollege gemobbt wird. Wer bekommt das mit, wenn man nicht mehr im selben Büro sitzt, sondern jeder im Home Office?

Es braucht nicht ständig aber doch immer wieder räumliche Nähe, damit tiefes Vertrauen und menschliche Nähe wachsen können. Aber auch um unmittelbar wahrnehmen zu können, wann etwas „stinkt“. Wann unser Vertrauen ungerechtfertigt sein kann. Und wann es dann wirklich an der Zeit ist, auf Distanz zu gehen, weil sich der Einzelne oder das Unternehmen sonst was Übles einfängt.

Verkürztes Wissen

Auch unser Wissenserwerb wird im Digitalen eingeschränkt. Nehmen wir Konferenzen, Schulungen oder Tagungen. Mindestens genauso wichtig wie Vorträge und Fachinformationen ist das, was dazwischen passiert. Denn hier eröffnen sich uns Gelegenheiten, um uns mit anderen Menschen auszutauschen, sie geplant oder zufällig kennenzulernen und vielleicht sogar längerfristige, vertrauensvolle Verbindungen zu begründen. Vor und nach einer Konferenz haben wir die Möglichkeit, in Kontakt mit anderen Städten, Ländern und Kulturen zu treten. Kurz, wir sammeln neben Informationen und Faktenwissen auch mannigfaltiges Erfahrungswissen, was mindestens ebenso wichtig ist. All das fällt im Cyberspace im wahrsten Sinne des Wortes flach, weil es Dreidimensionalität erfordert.

Pflöcke in die richtige Richtung einschlagen

So tun Unternehmen gut daran, Zeiten wie diese zu nutzen, um Tools und Angebote rund um das „virtuelle Zusammensein“ auszuprobieren. Um am eigenen Leib zu erfahren, was ihnen behagt und was nicht. Was für den Einzelnen, für Teams und für das Unternehmen gut funktioniert, was nicht und warum nicht. Welche Formate angesichts des Charakters oder der Bedeutung einer Sitzung z. B. grundsätzlich unangemessen sind und deshalb nur im Notfall eingesetzt werden sollten. Dies gilt im Übrigen auch für Schulungen jeglicher Art. Nicht jeder Lerninhalt passt in einen digitalen Rahmen.

Wenn es wieder ruhiger wird, kann man sich, gestützt auf diese Erfahrungen, dann grundsätzlich, besonnen und ehrlich mit der Frage auseinander setzen, für welche Situationen im Unternehmensalltag welche Art des Zusammenkommens für alle am besten geeignet ist – die Präsenzsitzung oder -veranstaltung, die Videokonferenz in ihren verschiedenen Formen, ein kurzes Absprechen per Telefonkonferenz oder ein kurzer Chat. Gleichzeitig sollte man sich mit der Frage beschäftigen, wie etwa Berichtslinien gestaltet sein sollten, um diesen Anforderungen gerecht zu werden und welche Infrastruktur man benötigt, damit die verschiedenen Lösungen professionell umgesetzt und genutzt werden können.

Die Krise bringt Kreativität und Experimentierfreude hervor. Diesen Geist sollten Unternehmen nutzen und in die Zeit nach Corona mitnehmen. Aber kritisch bleiben und auch erkennen und wertschätzen, wie essenziell der zwischenmenschliche Kontakt ist. Ein Dialog zu diesen Themen kann dem Miteinander im Unternehmen völlig neue Impulse geben.

© Sabine Breit

Komplex oder kompliziert – und was das mit Diversity zu tun hat

Eines der aktuellen Lieblingsvorhaben in vielen Unternehmen ist die Komplexitätsreduzierung. Wenn ich den Begriff höre, hoffe ich zuweilen, dass „komplex“ nicht mit „kompliziert“ verwechselt wird.

Denn Kompliziertes sollte man auf jeden Fall reduzieren, in Komplexes sollte man dagegen, wenn überhaupt, nur mit äußerster Vorsicht eingreifen, weil man nie so genau weiß, was letztlich passieren wird. So können beherzte Eingriffe in komplexe Unternehmensgefüge die Dinge am Ende schlimmer und ein Unternehmen ärmer machen.

Der kleine Unterschied

Halten wir zunächst die beiden Begriffe kurz auseinander. Ein Uhrwerk ist ein komplizierter Mechanismus. Es müssen viele Rädchen ineinandergreifen. Es ist aber mitnichten komplex, weil der Output klar definiert ist. Eine Uhr zeigt letztlich immer die Zeit an. Ein menschliches Gehirn, das Klima oder das Wetter sind dagegen komplexe Angelegenheiten. Beim selben Input können je nach Verknüpfungen, Interaktionen oder Einflussfaktoren unterschiedliche Ergebnisse herauskommen, ohne dass sich etwas bis ins Letzte vorhersagen lässt. Dieser kleine Vergleich macht schon eins deutlich: Alles was lebt, ist komplex. Komplexität ist eine Eigenschaft des Lebens. Wer Komplexität im Zuge von Kosteneinsparungen reduzieren will, sollte diesen fundamentalen Unterschied stets im Hinterkopf behalten.

Will man bei einem Uhrwerk Materialkosten einsparen und reduziert es um X Komponenten, kann man die Auswirkungen der Einsparung sofort daran erkennen, ob das Uhrwerk die Zeit korrekt anzeigt oder nicht. Funktioniert die Uhr tadellos, hat man sinnvoll und erfolgreich Kosten gespart. Greift man allerdings in ein lebendes Gebilde ein, wie das Klima oder eine Belegschaft, lassen sich die Folgen des Eingriffs nicht bis ins Letzte ermessen, bevor man anfängt, abzuholzen oder zu entlassen.

Auf die Schnittstellen kommt‘s an

Eine Art Epizentrum von Komplexität sind die Schnittstellen zwischen den Bestandteilen eines jedweden Gefüges, also z. B. die Kommunikationsschnittstellen zwischen den einzelnen Mitarbeitern oder die Schnittstellen zwischen Menschen und Maschinen, an denen Informationen ausgetauscht und weitergegeben werden. An jeder dieser Schnittstellen finden täglich Übersetzungsprozesse von einem Hirn und Herz zu einem anderen statt, die gelingen oder schiefgehen können. An den Schnittstellen zwischen Menschen wollen Informationen ebenso wirksam übertragen werden wie Emotionen, das heißt Handlungsenergie in Form von Bitten, Anweisungen, Mahnungen, Lob oder Ermutigungen. Das Risikoprofil, die operative Effizienz und das Gedeihen eines Unternehmens hängen entscheidend davon ab, dass diese Übersetzungsprozesse gelingen, so dass Informationen und „energietragende Signale“ möglichst unfallfrei, d. h. unverzerrt, vollständig und rechtzeitig, von A nach B gelangen. Deshalb verdienen diese Schnittstellen besondere Beachtung beim Nachdenken über Komplexität.

Grundsätzlich könnte man meinen, je mehr Schnittstellen (z. B. je mehr Mitarbeiter) man hat, umso größer kann die Komplexität werden. Die schiere Zahl sagt allerdings noch nichts darüber aus, ob die Abläufe in einem weitverzweigten Geflecht gut funktionieren oder nicht. Ob die Kommunikation fließt und die Dinge effizient, effektiv und risikoarm vonstattengehen, hängt vielmehr davon ab, inwiefern die Menschen, die sich an diesen Schnittstellen begegnen, in der Lage sind, mit der dort herrschenden Komplexität (= Vielfalt) umzugehen und wie sie dabei unterstützt werden.

Hierarchie und Komplexität sind zwei Paar Schuh

Nehmen wir die Komplexität von Berichtslinien. Ein internationaler Konzern mit Mitarbeitern aus vielen verschiedenen Ländern und Kulturen und Berichtslinien, die über 12 Standorte und sieben Vorgesetzte laufen, hat eine völlig andere Komplexität, als ein im Wesentlichen inländisch agierender Mittelständler. Ein Unternehmen mit einer flachen Hierarchie ist anders komplex, als ein stark hierarchisches Unternehmen. Jedes Unternehmen hat seine eigene, zu ihm gehörende Komplexität, mit der es umzugehen gilt.

Versucht ein Unternehmen Komplexität zu reduzieren, indem es etwa eine ganze Hierarchieebene abschafft, kann das enorm nach hinten losgehen. Denn es mag schon sein, dass die Berichtslinien dadurch kürzer und auf den ersten Blick weniger kompliziert werden. Die Komplexität kann sich allerdings erhöhen, weil die Kommunikationsschnittstellen neu gemischt werden. Fällt eine Ebene weg, müssen mitunter Menschen direkt miteinander kommunizieren, die dies vorher nicht oder nur selten getan haben. Das kann vorteilhaft sein und die Dinge einfacher machen, wenn die Kommunikation zwischen diesen neuen Gesprächspartnern gut funktioniert. Weil sie etwa dieselbe Muttersprache sprechen oder aus demselben Fachgebiet kommen. Das kann aber auch komplett schiefgehen, wenn das Gegenteil der Fall ist. Oder wenn mit der Streichung der Hierarchieebene kommunikationsstarke Menschen verloren gehen, die Teams erfolgreich geführt oder zusammengehalten haben. Dann erhöht sich die Komplexität, und der Informationsfluss im Unternehmen wird belastet, mit negativen Folgen für Risiko, Effizienz und Effektivität.

Das heißt nicht, dass man seine Hierarchie nicht abflachen kann. Es heißt aber, dass man sich seriös damit beschäftigen sollte, wie sich dadurch die Kommunikationsschnittstellen und damit die Komplexität im Unternehmen verändern und was an begleitenden Maßnahmen erforderlich ist, damit das Vorhaben gelingt. Denn je weniger Hierarchie und je mehr Selbststeuerung, umso größer muss die Kommunikationskompetenz jedes Einzelnen sein. Sonst wird das nix mit „New Work“.

Die Komplexität von Diversity

Gleiches gilt für das Gelingen der sogenannten „Diversity“. Vielfalt ist etwas Wunderbares. Eine heterogene Belegschaft bringt nicht nur Lebendigkeit und einen breiten Horizont in ein Unternehmen, sondern trägt auch vielfältigere Ideen und Lösungsansätze in sich. Je heterogener eine Belegschaft ist, umso mehr Gelegenheiten für Missverständnisse gibt es allerdings auch an den Kommunikationsschnittstellen. Und zwar nicht nur zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen, sondern auch zwischen verschiedenen Fachbereichen und Experten, Hierarchieebenen, Altersgruppen, Weltanschauungen oder Charakteren.

Die Übersetzungsprozesse, die täglich an den Schnittstellen stattfinden, sind schlichtweg komplexer, wenn sich Herzen und Hirne begegnen, die auf vielerlei Weise unterschiedlich sozialisiert sind. Was nicht heißt, dass sie nicht ganz trefflich gelingen können. Es braucht nur einen bewussten Umgang mit diesen Gegebenheiten und eine konsequente Förderung der Fähigkeiten, die für das Gelingen der erforderlichen Übersetzungsprozesse nötig sind.

Ein Unternehmen, für das Diversity zur DNS gehört, tut deshalb gut daran, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie tatsächlich gelebt werden kann. So gilt es etwa, Strukturen und Angebote zu schaffen, die die Mitarbeiter ertüchtigen und dabei unterstützen, so zu agieren, dass die erforderlichen Übersetzungsprozesse gelingen und die Kommunikation fließen kann, weil Klarheit, gegenseitiger Respekt und Vertrauen herrschen. Andernfalls drohen versteckte Hierarchien, die Bildung von Makro- und Mikrosilos oder die Kolonialisierung des Unternehmens durch einzelne Standorte oder Unternehmensbereiche. Und dann wird’s zusätzlich zu der ganzen Komplexität auch noch kompliziert.

@ Sabine Breit