Wie wir zu besseren Entscheidungen kommen

Im Epizentrum von Gegenwart und Zukunft stehen unsere Entscheidungen. Das gilt für das Wohlergehen von Privatpersonen ebenso wie für das Gedeihen von Unternehmen. Katastrophen wie an der Ahr oder in Afghanistan haben uns in den letzten Wochen die Bedeutung von Entscheidungen drastisch vor Augen geführt. Dabei sind es zumeist nie nur die Entscheidungen einer Person, sondern es ist eine Kette oder ein Gefüge von Entscheidungen, die bzw. das letztlich zu einem bestimmten Endergebnis führt. Ein kurzer Blick auf die Geschehnisse um die Flutkatastrophe in diesem Sommer soll dies verdeutlichen.

Die Sache mit der Sorgfalt

In zwei Artikeln auf der Website von SWR Aktuell vom 10.8. (Links am Ende des Beitrags) erhalten wir Auskunft über Trier und Ahrweiler.  Zunächst Trier: Als Hauptproblem wird die mangelnde Abstimmung von Meldesystemen genannt, aufgrund derer die Warnmeldungen ins Leere gelaufen seien. Aufgrund von Fehlern bei der Übertragung von einem System in das andere, seien nicht die richtigen Verbreitungsmedien ausgewählt worden. Ob die Übertragung von einem Formular zum anderen systemseitig oder durch Menschen erfolgte, ist dem Artikel nicht eindeutig zu entnehmen. Die Entscheidungen, die zu dem Problem führten, wurden somit entweder schon vor längerer Zeit, d. h. bei der Programmierung oder Gestaltung der Meldesysteme, getroffen oder in der fraglichen Nacht.

Die Sache mit den Annahmen

Weiterhin bemerkenswert ist, dass das Problem mit dem Meldesystem bekannt war. Offensichtlich wusste der Einsatzleiter, der zehn Warnmeldungen darüber absetzte, aber nichts davon. Wie hätte er sonst „davon ausgehen können“, dass die Meldungen ordnungsgemäß angekommen sind? So stellt sich die Frage, aufgrund welcher Entscheidungen die Informationskette nach dem Erkennen des Problems abgerissen ist. Wurde die Tragweite und Priorität des Problems vielleicht falsch eingeschätzt? Die Formulierung des pfälzischen Innenministeriums, man wisse von einem „möglichen Aktualisierungsbedarf“ und warte auf eine „Rückmeldung vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe“ könnte darauf hindeuten.

Die Sache mit der Tonalität

Aber auch die Tonalität der Warnmeldungen ist interessant. In der ersten Meldung um 19:01 Uhr hieß es: „In den nächsten Stunden sind starke Regenfälle, schnell steigende Flusspegel und Unwetter zu erwarten. Es besteht Hochwassergefahr.“ In einer Warn-App war für den Zeitraum 13.-15.7. von „extrem ergiebigem Dauerregen“ die Rede. Dazu wurden mögliche Niederschlagsmengen pro Quadratmeter genannt. Ein Katastrophenalarm klingt anders. Wer nicht deutlich gewarnt wird und etwa nicht in der Lage ist, Niederschlagsmengen in Bedrohungsszenarien zu übersetzen, wird nicht entscheiden, sich und die Seinen in Sicherheit zu bringen. Er räumt vielleicht höchstens den Keller frei und geht dann ins Bett. Schlafende erreicht man mit der zweiten Meldung um 1:05 Uhr nicht mehr. Da braucht es Sirenen und die Feuerwehr, die mit Lautsprechern durch den Ort fährt.

Die Sache mit der Zuständigkeit

In Ahrweiler wurde offensichtlich überhaupt keine Warnmeldung abgesetzt oder nicht in der gebotenen Deutlichkeit. Der ein oder andere fühlte sich wohl nicht zuständig. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassung. Auch etwas zu unterlassen, ist eine Entscheidung.

Bessere Entscheidungen ermöglichen, Komplexität meistern

Sorgfalt, Annahmen, Tonalität, Zuständigkeit – dies sind nur ein paar der Faktoren, die Einfluss auf Entscheidungsprozesse haben. Entscheidungsprozesse sind komplexe Gebilde mit verknüpften Kausalitäten.  Im Unternehmensalltag geht es nur selten um Leib und Leben, doch immer um das langfristige Gedeihen des Unternehmens. Deshalb sollte es ein zentrales Anliegen sein, die Entscheidungskompetenz der Mitarbeiter allgemein zu erhöhen, damit sie sich in dieser Komplexität souverän bewegen können.

Individuelle Entscheidungskompetenz

Dabei geht es zunächst um die Förderung der individuellen Entscheidungskompetenz. Darum, was gegeben sein muss, damit die internen Übersetzungsprozesse zwischen unseren zentralen Entscheidungsinstanzen – Herz, Hirn und Bauch – funktionieren. Eigenschaften wie  Offenheit und Besonnenheit sowie Fachkenntnisse oder Erfahrung gehören dazu. Individuelle Angebote zur Förderung dieser Fähigkeiten spielen dabei einen ebenso große Rolle wie die Unternehmenskultur, das hierarchische Gefüge, strategische Vorgaben, Vergütungs- und Anreizstrukturen oder Arbeitszeitmodelle, die allesamt die Entwicklung individueller Entscheidungskompetenz ermöglichen oder behindern können.

Schnittstellenkompetenz

Damit komplexe Entscheidungsprozesse funktionieren, braucht es aber nicht nur individuelle Entscheidungskompetenz, sondern auch die Fähigkeit, andere in die Lage zu versetzen, ebenfalls angemessene Entscheidungen zu treffen. Dabei geht es um die Fähigkeit, als „Relaisstation“- d. h. als Empfänger und Sender in einem Entscheidungsgefüge  –  Informationen und Emotionen wirksam zu übersetzen und weiterzugeben. So muss man in der Lage sein, genau und vorurteilsfrei zuzuhören und das Gehörte gründlich zu verarbeiten. Ferner muss man die Empfänger kennen, um Informationen korrekt, verständlich und in der richtigen Tonalität an die nächste(n) Relaisstation(en) weiterzugeben. Auch braucht man Mut zu Klartext, um klar und deutlich auf Missstände hinzuweisen oder Gefahren unmissverständlich zu benennen. In einem internationalen Unternehmen kommt die Fähigkeit hinzu, dies ebenso zuverlässig in einer oder mehreren anderen Sprachen und zwischen verschiedenen Kulturräumen zu tun.

Neben der individuellen Befähigung sind den Mitarbeitern für die „Schnittstellenarbeit“ außerdem Strukturen und Tools an die Hand zu geben, die sie bei den erforderlichen Übersetzungsprozessen unterstützen. Hilfreich sind etwa Corporate oder Vendor Directories, denen man etwa wichtige Informationen zu den Empfängern in einer Informationskette entnehmen kann. Ebenso kann ein performanter Sprachendienst erforderlich sein oder bestimmte Leistungsmerkmale bei Video- oder Audio-Conferencing-Systemen.

Vor allem aber sollte ein Bewusstsein dafür herrschen, was an den Schnittstellen schiefgehen kann. Was schiefgehen kann, beschreibt etwa der ehemalige deutsche Botschafter in Afghanistan, Hans-Ulrich Seidt, in der NZZ vom 18.8. sehr drastisch. So hätten viele Parteien, wie etwa Nachrichtendienste oder NGOs, seit Jahren vor einem Scheitern in Afghanistan gewarnt. Die „raw intelligence“ gehe allerdings durch viele Hände, bis sie auf der obersten Ebene ankommt. Dabei werde, so Seidt, „so lange gefeilt, bis es ins Bild der politisch Verantwortlichen passt“.

Mit Fragen gegen Potemkinsche Dörfer

Wenn dies passiert, verwandeln sich Unternehmen früher oder später in Potemkinsche Dörfer, in denen keine nachhaltige Zukunft gedeihen kann. Jenseits aller Angebote, Tools, Leitlinien oder Strukturen, mit denen sich dem vorbeugen lässt, kann jeder und jede unmittelbar zur Vorbeugung beitragen, indem er oder sie sich im Entscheidungsprozess ein paar Fragen stellt. Wie etwa: Habe ich ausreichend Zeit, um meinen Aufgaben gerecht zu werden? Verfüge ich wirklich über die notwendigen Fachkenntnisse, derer es bedarf? Sehen wir wirklich das ganze Bild oder fehlen noch Informationen? Sitzen alle von einer Entscheidung Betroffenen am Tisch? Gibt es Gefahren in meinem Projekt, und habe ich deutlich und an der richtigen Stelle gewarnt? Handelt es sich bei den Informationen, die ich weitergebe, um Fakten oder vielmehr um Projektionen oder andere Annahmen? Habe ich dies geprüft und in meinen Formulierungen kenntlich gemacht? Verfüge ich wirklich über die notwendigen Sprachkenntnisse, derer es an dieser Schnittstelle bedarf? Sind die Sitzungsformate geeignet, um zu einer durchdachten Entscheidung zu kommen?  Bin ich heute wirklich wach/ausgeglichen/ unvoreingenommen genug, um die erforderliche Entscheidung zu treffen?

Weil die Zukunft davon abhängt

Je nach Situation und Unternehmen stellen sich andere Fragen. Dass sie gestellt werden, ist das Entscheidende. Die Menschen in einem Unternehmen individuell zu befähigen und kulturell sowie strukturell dabei zu unterstützen, diese Fragen zu stellen und angemessen zu beantworten, wird insgesamt zu besseren Entscheidungen führen. Bessere Entscheidungen zugunsten des Wohlergehens und der Zukunftsfähigkeit des eigenen Unternehmens aber auch zum Wohle all jener, die wir in unserem „Ökosystem“ mit unseren Entscheidungen berühren.

© Sabine Breit

https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/trier/warnmeldungen-aus-trier-kamen-nicht-bei-radiosendern-an-100.html

https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/koblenz/kreis-ahrweiler-keine-warnmeldung-100.html

Komplex oder kompliziert – und was das mit Diversity zu tun hat

Eines der aktuellen Lieblingsvorhaben in vielen Unternehmen ist die Komplexitätsreduzierung. Wenn ich den Begriff höre, hoffe ich zuweilen, dass „komplex“ nicht mit „kompliziert“ verwechselt wird.

Denn Kompliziertes sollte man auf jeden Fall reduzieren, in Komplexes sollte man dagegen, wenn überhaupt, nur mit äußerster Vorsicht eingreifen, weil man nie so genau weiß, was letztlich passieren wird. So können beherzte Eingriffe in komplexe Unternehmensgefüge die Dinge am Ende schlimmer und ein Unternehmen ärmer machen.

Der kleine Unterschied

Halten wir zunächst die beiden Begriffe kurz auseinander. Ein Uhrwerk ist ein komplizierter Mechanismus. Es müssen viele Rädchen ineinandergreifen. Es ist aber mitnichten komplex, weil der Output klar definiert ist. Eine Uhr zeigt letztlich immer die Zeit an. Ein menschliches Gehirn, das Klima oder das Wetter sind dagegen komplexe Angelegenheiten. Beim selben Input können je nach Verknüpfungen, Interaktionen oder Einflussfaktoren unterschiedliche Ergebnisse herauskommen, ohne dass sich etwas bis ins Letzte vorhersagen lässt. Dieser kleine Vergleich macht schon eins deutlich: Alles was lebt, ist komplex. Komplexität ist eine Eigenschaft des Lebens. Wer Komplexität im Zuge von Kosteneinsparungen reduzieren will, sollte diesen fundamentalen Unterschied stets im Hinterkopf behalten.

Will man bei einem Uhrwerk Materialkosten einsparen und reduziert es um X Komponenten, kann man die Auswirkungen der Einsparung sofort daran erkennen, ob das Uhrwerk die Zeit korrekt anzeigt oder nicht. Funktioniert die Uhr tadellos, hat man sinnvoll und erfolgreich Kosten gespart. Greift man allerdings in ein lebendes Gebilde ein, wie das Klima oder eine Belegschaft, lassen sich die Folgen des Eingriffs nicht bis ins Letzte ermessen, bevor man anfängt, abzuholzen oder zu entlassen.

Auf die Schnittstellen kommt‘s an

Eine Art Epizentrum von Komplexität sind die Schnittstellen zwischen den Bestandteilen eines jedweden Gefüges, also z. B. die Kommunikationsschnittstellen zwischen den einzelnen Mitarbeitern oder die Schnittstellen zwischen Menschen und Maschinen, an denen Informationen ausgetauscht und weitergegeben werden. An jeder dieser Schnittstellen finden täglich Übersetzungsprozesse von einem Hirn und Herz zu einem anderen statt, die gelingen oder schiefgehen können. An den Schnittstellen zwischen Menschen wollen Informationen ebenso wirksam übertragen werden wie Emotionen, das heißt Handlungsenergie in Form von Bitten, Anweisungen, Mahnungen, Lob oder Ermutigungen. Das Risikoprofil, die operative Effizienz und das Gedeihen eines Unternehmens hängen entscheidend davon ab, dass diese Übersetzungsprozesse gelingen, so dass Informationen und „energietragende Signale“ möglichst unfallfrei, d. h. unverzerrt, vollständig und rechtzeitig, von A nach B gelangen. Deshalb verdienen diese Schnittstellen besondere Beachtung beim Nachdenken über Komplexität.

Grundsätzlich könnte man meinen, je mehr Schnittstellen (z. B. je mehr Mitarbeiter) man hat, umso größer kann die Komplexität werden. Die schiere Zahl sagt allerdings noch nichts darüber aus, ob die Abläufe in einem weitverzweigten Geflecht gut funktionieren oder nicht. Ob die Kommunikation fließt und die Dinge effizient, effektiv und risikoarm vonstattengehen, hängt vielmehr davon ab, inwiefern die Menschen, die sich an diesen Schnittstellen begegnen, in der Lage sind, mit der dort herrschenden Komplexität (= Vielfalt) umzugehen und wie sie dabei unterstützt werden.

Hierarchie und Komplexität sind zwei Paar Schuh

Nehmen wir die Komplexität von Berichtslinien. Ein internationaler Konzern mit Mitarbeitern aus vielen verschiedenen Ländern und Kulturen und Berichtslinien, die über 12 Standorte und sieben Vorgesetzte laufen, hat eine völlig andere Komplexität, als ein im Wesentlichen inländisch agierender Mittelständler. Ein Unternehmen mit einer flachen Hierarchie ist anders komplex, als ein stark hierarchisches Unternehmen. Jedes Unternehmen hat seine eigene, zu ihm gehörende Komplexität, mit der es umzugehen gilt.

Versucht ein Unternehmen Komplexität zu reduzieren, indem es etwa eine ganze Hierarchieebene abschafft, kann das enorm nach hinten losgehen. Denn es mag schon sein, dass die Berichtslinien dadurch kürzer und auf den ersten Blick weniger kompliziert werden. Die Komplexität kann sich allerdings erhöhen, weil die Kommunikationsschnittstellen neu gemischt werden. Fällt eine Ebene weg, müssen mitunter Menschen direkt miteinander kommunizieren, die dies vorher nicht oder nur selten getan haben. Das kann vorteilhaft sein und die Dinge einfacher machen, wenn die Kommunikation zwischen diesen neuen Gesprächspartnern gut funktioniert. Weil sie etwa dieselbe Muttersprache sprechen oder aus demselben Fachgebiet kommen. Das kann aber auch komplett schiefgehen, wenn das Gegenteil der Fall ist. Oder wenn mit der Streichung der Hierarchieebene kommunikationsstarke Menschen verloren gehen, die Teams erfolgreich geführt oder zusammengehalten haben. Dann erhöht sich die Komplexität, und der Informationsfluss im Unternehmen wird belastet, mit negativen Folgen für Risiko, Effizienz und Effektivität.

Das heißt nicht, dass man seine Hierarchie nicht abflachen kann. Es heißt aber, dass man sich seriös damit beschäftigen sollte, wie sich dadurch die Kommunikationsschnittstellen und damit die Komplexität im Unternehmen verändern und was an begleitenden Maßnahmen erforderlich ist, damit das Vorhaben gelingt. Denn je weniger Hierarchie und je mehr Selbststeuerung, umso größer muss die Kommunikationskompetenz jedes Einzelnen sein. Sonst wird das nix mit „New Work“.

Die Komplexität von Diversity

Gleiches gilt für das Gelingen der sogenannten „Diversity“. Vielfalt ist etwas Wunderbares. Eine heterogene Belegschaft bringt nicht nur Lebendigkeit und einen breiten Horizont in ein Unternehmen, sondern trägt auch vielfältigere Ideen und Lösungsansätze in sich. Je heterogener eine Belegschaft ist, umso mehr Gelegenheiten für Missverständnisse gibt es allerdings auch an den Kommunikationsschnittstellen. Und zwar nicht nur zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen, sondern auch zwischen verschiedenen Fachbereichen und Experten, Hierarchieebenen, Altersgruppen, Weltanschauungen oder Charakteren.

Die Übersetzungsprozesse, die täglich an den Schnittstellen stattfinden, sind schlichtweg komplexer, wenn sich Herzen und Hirne begegnen, die auf vielerlei Weise unterschiedlich sozialisiert sind. Was nicht heißt, dass sie nicht ganz trefflich gelingen können. Es braucht nur einen bewussten Umgang mit diesen Gegebenheiten und eine konsequente Förderung der Fähigkeiten, die für das Gelingen der erforderlichen Übersetzungsprozesse nötig sind.

Ein Unternehmen, für das Diversity zur DNS gehört, tut deshalb gut daran, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie tatsächlich gelebt werden kann. So gilt es etwa, Strukturen und Angebote zu schaffen, die die Mitarbeiter ertüchtigen und dabei unterstützen, so zu agieren, dass die erforderlichen Übersetzungsprozesse gelingen und die Kommunikation fließen kann, weil Klarheit, gegenseitiger Respekt und Vertrauen herrschen. Andernfalls drohen versteckte Hierarchien, die Bildung von Makro- und Mikrosilos oder die Kolonialisierung des Unternehmens durch einzelne Standorte oder Unternehmensbereiche. Und dann wird’s zusätzlich zu der ganzen Komplexität auch noch kompliziert.

@ Sabine Breit

Souverän durch den Wandel

Unlängst erschien in der Süddeutschen Zeitung ein interessanter Artikel von Karl-Heinz Büschemann mit dem Titel „Die große Verunsicherung der deutschen Manager“. Es ging darum, wie Firmenleiter durch steigende Komplexität und den schnellen Wandel der Dinge zunehmend überfordert sind und vermehrt Fehlentscheidungen treffen.

Weil der Kommunikationsfluss in einem Unternehmen mehr mit dem beschriebenen Phänomen zu tun hat, als man vielleicht auf den ersten Blick vermuten möchte, lohnt es sich, diese Perspektive ein wenig näher zu beleuchten.

SCHLAGLICHT 1: DER INNERE DIALOG

Die Zeiten seien ungewohnt für Unternehmenschefs, so Büschemann. Angesichts eines sich schnell verändernden Wettbewerbsumfelds sowie rasend schneller technischer und zunehmend unberechenbarer politischer Entwicklungen gerieten die Entscheider unter erhöhten Druck. Es sei für Manager immer schwerer, „Überblick und Nerven zu behalten“. Sie seien „zunehmend Getriebene“.

Das beschriebene Problem ist nicht auf die Führungsetagen von Unternehmen beschränkt. Es betrifft uns alle in unterschiedlichem Maße. Bei Menschen, an deren Entscheidungen allerdings Hunderte oder gar Tausende von Arbeitsplätzen hängen, ist es unerlässlich, dass sie den Kopf über die Dinge bekommen, mit Komplexität umgehen können und besonnen und souverän handeln. Dazu benötigen sie vor allem einen gut funktionierenden inneren Kompass, der sie am Himmel der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten sicher navigieren lässt. Um diesen Kompass immer wieder zu kalibrieren, braucht es wiederum einen inneren Dialog. Sozusagen ein Selbstgespräch, in dem die anstehenden Dinge ehrlich gewogen und beleuchtet werden, und zwar mit Herz, Hirn und Bauch. Informationen sind rational zu verarbeiten, vor dem Hintergrund des eigenen Wertegerüsts einzuordnen und mit Hilfe der Intuition zu wägen, um schließlich zu besonnenen Entscheidungen zu kommen. Ansonsten läuft man Gefahr, zum Spiel kommender und gehender Trendböen zu werden und kopflos in der Gegend herum zu agieren.

Aktionszeit statt Reaktionszeit

Was braucht es, damit dieser essenzielle innere Dialog stattfinden kann? Vor allem eins: Zeit. Zeit, in der Hirn, Herz und Bauch wie in einem Resonanzraum zusammenfinden und ins Gleichgewicht kommen können. Ich kann den Einwand hören: „Aber ich arbeite schon 14 Stunden am Tag. Wann soll ich denn dafür noch Zeit haben?“. Nun, die Kernaufgabe von Entscheidern besteht darin, Entscheidungen zu treffen und diese adäquat zu kommunizieren. Man kann dies in 14 Stunden nebenbei erledigen, irgendwann zwischen zehn Meetings und zwei Flügen. Das erhöht die Fehlerquote. Oder man kann sich innerhalb dieser 14 Stunden immer wieder bewusst Zeit und Raum nehmen, um Hirn, Herz und Bauch zusammenfinden zu lassen. Aktionszeit statt Reaktionszeit. Das erhöht die Trefferquote und gibt dem Unternehmen Stabilität in stürmischen Zeiten.

Denkfutter – Food for thought

Was benötigt man außer Zeit und Raum noch für einen erquicklichen inneren Dialog? Futter –„food for thought“, wie der Engländer sagt. Damit sind valide Informationen aus unterschiedlichen zuverlässigen Quellen gemeint. Das gilt insbesondere, wenn alte Gewissheiten und bekannte Planungsinstrumente nicht mehr gelten, wie es in der SZ zu lesen ist. Wenn die „wirkliche Realität“ mirakulöserweise ganz anders aussieht, als in Prognosen, Plänen oder einer irgendwann erarbeiteten Strategie angenommen. Sich valide Informationen zu besorgen bedeutet aber nicht, panisch in Big Data-Halden rumzuwühlen oder mit komplizierten Analysen der Vergangenheit nach Rezepten für die Zukunft zu suchen. Vielmehr bedeutet es, Menschen zuzuhören, die in der „wirklichen Realität“, im ungeschminkten Hier und Jetzt, leben. So sind Entscheider gut beraten, wenn sie ihre Kommunikationskanäle (alias Augen und Ohren) für Anregungen aus allen Bereichen des Unternehmens sowie von externen Partner offen halten. Und zwar so direkt wie möglich, ohne Vorauswahl durch die übliche „In-Crowd“, damit relevante Informationen auch aus nicht vermuteten Richtungen zu ihnen durchdringen können.

Sendepausen

In gleicher Weise sollten Entscheider aber auch wissen, wann Kanäle zu schließen sind. Wer etwa mit dem Betreiben von Partikularinteressen oder dem steten Zufüttern wenig hilfreicher Historien, Annahmen und Eventualitäten ihre Zeit vergeudet, und wann es an der Zeit ist, sich zum inneren Dialog zurückzuziehen.

In diesem inneren Dialog ist ebenfalls Offenheit gefragt. So sollten Entscheider in der Lage sein, bei der Verarbeitung der Informationen Kopf, Herz und Bauch gleichermaßen zu Wort kommen zu lassen, statt sich von der einen oder anderen Stimme ins Bockshorn jagen oder zu Himmelfahrtsaktionen treiben zu lassen. Wie etwa von der Stimme der Angst, die sich wohl vermehrt in Unternehmen breit macht, wie in der SZ zu lesen ist.

Jeder Mensch hat irgendwann mal Angst. Und wir vergessen gerne, dass auch Unternehmenslenker mit einem sechsstelligen Jahressalär letztlich Menschen sind. Die eben auch mal Angst haben dürfen. Wenn Angst aber die lauteste innere Stimme bei der Entscheidungsfindung wird, haben Unternehmen früher oder später ein Problem. Weil Angst entweder lähmt oder zu nicht ausreichend durchdachten Handlungen treibt. Deshalb gehört es zu den vornehmsten Aufgaben von Führungskräften, durch ernsthafte Arbeit an der eigenen Persönlichkeit und den eigenen Denkmustern dafür zu sorgen, dass die Kommunikationskanäle für den inneren Dialog offen bleiben und nicht eine der Stimmen zum Verstummen gebracht wird oder die anderen immer übertönt.

SCHLAGLICHT 2: DER ÄUSSERE DIALOG

Wie bereits erwähnt, muss der innere Dialog mit vielfältigen Informationen gefüttert werden. Im SZ-Artikel wird dazu vorgeschlagen, althergebrachte Hierarchien und „Kommandoorganisationen“ aufzulösen, damit die Ideen aller Mitarbeiter auch bis zur Unternehmensführung durchdringen können.

Das ist zweifelsohne richtig. Tatsächlich reicht es aber nicht, die Empfangskanäle der Entscheider zu öffnen. Vielmehr müssen mögliche Ideengeber auch in der Lage sein bzw. in die Lage versetzt werden, über diese Kanäle adäquat klare Botschaften zu senden. Und zwar nicht nur nach oben, sondern in alle Richtungen, damit Teamarbeit und flache Hierarchien überhaupt funktionieren können.

Als könnten Fische fliegen

Dies ist aber leichter gesagt als getan. Das ergibt sich schon aus einer sehr einfachen Logik: Getriebene Führungskräfte senden in Wort und Tat offen oder unterschwellig Signale der Angst und Konfusion ins Unternehmen. Zu erwarten, dass Mitarbeiter in einem solchen Klima leichtfüßig in einen offenen Diskurs eintreten und mutig Ideen vorbringen oder gar Entscheidungen treffen, ist ebenso realistisch, als würde man von einem Fisch erwarten, dass er fliegt. Wurde ein Unternehmen über lange Zeit als Kommandoorganisation geführt, ist ferner davon auszugehen, dass die kommunikativen und persönlichen Fähigkeiten, die für mehr Eigenständigkeit auf allen Ebenen erforderlich wären, bei vielen verkümmert sind. Wer es gewohnt ist, vor allem nach Anweisung zu arbeiten, wird nicht über Nacht zur Eigeninitiative finden und zu der Fähigkeit, diese Initiative auch wirksam zu kommunizieren. Wer sich daran gewöhnt hat, andere herumzukommandieren, wird nicht von jetzt auf gleich zu einem Teamplayer mit kooperativem Kommunikationsstil.

Kommunikationsmuskeln aufbauen

Verlangt man Mitarbeitern diese Fähigkeiten trotzdem ab, ohne ihnen die Zeit und die Mittel zu geben, um diese (wieder) erlernen zu können, führt jeder „Agilitätsbefehl“ unweigerlich zu neuen Signalstörungen in den diversen Kommunikationsketten. Zuweilen muss man nämlich erst (wieder) lernen, was der Unterschied in der Tonalität zwischen einem Befehl und einer Bitte ist, schriftlich und mündlich, und am besten noch über diverse Sprachgrenzen hinweg. Auch Mitarbeiter, die über lange Zeit mit Angst oder Unsicherheit gelebt haben, werden nicht ohne weiteres zu einer sogenannten „Speak-Up-Kultur“ finden. Dafür muss erst wieder eine solide Vertrauensbasis gelegt werden. Und das dauert.

So braucht es auch für das Gelingen des äußeren Dialogs Raum und Zeit. Raum und Zeit, damit Vertrauen wachsen kann – in das Management und sich selbst. Raum und Zeit für gezielte Angebote, durch die Mitarbeitern die Möglichkeit gegeben wird, ihre Kommunikationsmuskeln wieder zu trainieren und aufzubauen, damit sie Informationen und Ideen angemessen und verständlich an die richtige Stelle bringen können. Außerdem benötigt man unterstützende Strukturen, wie etwa ein durchdachtes Wissensmanagement, das es allen Mitarbeitern ermöglicht, sich Fach-, Erfahrungs- und Erkenntniswissen für ihren eigenen inneren Dialog und die Kommunikation mit anderen anzueignen.

Wer es Menschen in einem Unternehmen erlaubt und sie durch einen strukturierten Ansatz in die Lage versetzt, die Dinge so, wie sie sind, gründlich zu reflektieren und adäquat zu kommunizieren, muss sich nicht fürchten vor Komplexität und Wandel. Er sorgt vielmehr dafür, dass der Boden unter den Füßen, der laut SZ verloren zu gehen scheint, peu à peu wieder zu einer tragfähigen Schicht wachsen kann. Und vielleicht stellt man irgendwann sogar fest, dass man diesen Boden gar nicht mehr immer und überall braucht, weil man mental und kommunikativ so souverän geworden ist, dass man sich am Himmel der scheinbar unendlichen Möglichkeiten dank eines funktionierenden inneren Kompass mit großer Leichtigkeit und sogar Freude bewegen kann.

Den zitierten Artikel finden Sie hier.