Unlängst erschien in der Süddeutschen Zeitung ein interessanter Artikel von Karl-Heinz Büschemann mit dem Titel „Die große Verunsicherung der deutschen Manager“. Es ging darum, wie Firmenleiter durch steigende Komplexität und den schnellen Wandel der Dinge zunehmend überfordert sind und vermehrt Fehlentscheidungen treffen.
Weil der Kommunikationsfluss in einem Unternehmen mehr mit dem beschriebenen Phänomen zu tun hat, als man vielleicht auf den ersten Blick vermuten möchte, lohnt es sich, diese Perspektive ein wenig näher zu beleuchten.
SCHLAGLICHT 1: DER INNERE DIALOG
Die Zeiten seien ungewohnt für Unternehmenschefs, so Büschemann. Angesichts eines sich schnell verändernden Wettbewerbsumfelds sowie rasend schneller technischer und zunehmend unberechenbarer politischer Entwicklungen gerieten die Entscheider unter erhöhten Druck. Es sei für Manager immer schwerer, „Überblick und Nerven zu behalten“. Sie seien „zunehmend Getriebene“.
Das beschriebene Problem ist nicht auf die Führungsetagen von Unternehmen beschränkt. Es betrifft uns alle in unterschiedlichem Maße. Bei Menschen, an deren Entscheidungen allerdings Hunderte oder gar Tausende von Arbeitsplätzen hängen, ist es unerlässlich, dass sie den Kopf über die Dinge bekommen, mit Komplexität umgehen können und besonnen und souverän handeln. Dazu benötigen sie vor allem einen gut funktionierenden inneren Kompass, der sie am Himmel der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten sicher navigieren lässt. Um diesen Kompass immer wieder zu kalibrieren, braucht es wiederum einen inneren Dialog. Sozusagen ein Selbstgespräch, in dem die anstehenden Dinge ehrlich gewogen und beleuchtet werden, und zwar mit Herz, Hirn und Bauch. Informationen sind rational zu verarbeiten, vor dem Hintergrund des eigenen Wertegerüsts einzuordnen und mit Hilfe der Intuition zu wägen, um schließlich zu besonnenen Entscheidungen zu kommen. Ansonsten läuft man Gefahr, zum Spiel kommender und gehender Trendböen zu werden und kopflos in der Gegend herum zu agieren.
Aktionszeit statt Reaktionszeit
Was braucht es, damit dieser essenzielle innere Dialog stattfinden kann? Vor allem eins: Zeit. Zeit, in der Hirn, Herz und Bauch wie in einem Resonanzraum zusammenfinden und ins Gleichgewicht kommen können. Ich kann den Einwand hören: „Aber ich arbeite schon 14 Stunden am Tag. Wann soll ich denn dafür noch Zeit haben?“. Nun, die Kernaufgabe von Entscheidern besteht darin, Entscheidungen zu treffen und diese adäquat zu kommunizieren. Man kann dies in 14 Stunden nebenbei erledigen, irgendwann zwischen zehn Meetings und zwei Flügen. Das erhöht die Fehlerquote. Oder man kann sich innerhalb dieser 14 Stunden immer wieder bewusst Zeit und Raum nehmen, um Hirn, Herz und Bauch zusammenfinden zu lassen. Aktionszeit statt Reaktionszeit. Das erhöht die Trefferquote und gibt dem Unternehmen Stabilität in stürmischen Zeiten.
Denkfutter – Food for thought
Was benötigt man außer Zeit und Raum noch für einen erquicklichen inneren Dialog? Futter –„food for thought“, wie der Engländer sagt. Damit sind valide Informationen aus unterschiedlichen zuverlässigen Quellen gemeint. Das gilt insbesondere, wenn alte Gewissheiten und bekannte Planungsinstrumente nicht mehr gelten, wie es in der SZ zu lesen ist. Wenn die „wirkliche Realität“ mirakulöserweise ganz anders aussieht, als in Prognosen, Plänen oder einer irgendwann erarbeiteten Strategie angenommen. Sich valide Informationen zu besorgen bedeutet aber nicht, panisch in Big Data-Halden rumzuwühlen oder mit komplizierten Analysen der Vergangenheit nach Rezepten für die Zukunft zu suchen. Vielmehr bedeutet es, Menschen zuzuhören, die in der „wirklichen Realität“, im ungeschminkten Hier und Jetzt, leben. So sind Entscheider gut beraten, wenn sie ihre Kommunikationskanäle (alias Augen und Ohren) für Anregungen aus allen Bereichen des Unternehmens sowie von externen Partner offen halten. Und zwar so direkt wie möglich, ohne Vorauswahl durch die übliche „In-Crowd“, damit relevante Informationen auch aus nicht vermuteten Richtungen zu ihnen durchdringen können.
Sendepausen
In gleicher Weise sollten Entscheider aber auch wissen, wann Kanäle zu schließen sind. Wer etwa mit dem Betreiben von Partikularinteressen oder dem steten Zufüttern wenig hilfreicher Historien, Annahmen und Eventualitäten ihre Zeit vergeudet, und wann es an der Zeit ist, sich zum inneren Dialog zurückzuziehen.
In diesem inneren Dialog ist ebenfalls Offenheit gefragt. So sollten Entscheider in der Lage sein, bei der Verarbeitung der Informationen Kopf, Herz und Bauch gleichermaßen zu Wort kommen zu lassen, statt sich von der einen oder anderen Stimme ins Bockshorn jagen oder zu Himmelfahrtsaktionen treiben zu lassen. Wie etwa von der Stimme der Angst, die sich wohl vermehrt in Unternehmen breit macht, wie in der SZ zu lesen ist.
Jeder Mensch hat irgendwann mal Angst. Und wir vergessen gerne, dass auch Unternehmenslenker mit einem sechsstelligen Jahressalär letztlich Menschen sind. Die eben auch mal Angst haben dürfen. Wenn Angst aber die lauteste innere Stimme bei der Entscheidungsfindung wird, haben Unternehmen früher oder später ein Problem. Weil Angst entweder lähmt oder zu nicht ausreichend durchdachten Handlungen treibt. Deshalb gehört es zu den vornehmsten Aufgaben von Führungskräften, durch ernsthafte Arbeit an der eigenen Persönlichkeit und den eigenen Denkmustern dafür zu sorgen, dass die Kommunikationskanäle für den inneren Dialog offen bleiben und nicht eine der Stimmen zum Verstummen gebracht wird oder die anderen immer übertönt.
SCHLAGLICHT 2: DER ÄUSSERE DIALOG
Wie bereits erwähnt, muss der innere Dialog mit vielfältigen Informationen gefüttert werden. Im SZ-Artikel wird dazu vorgeschlagen, althergebrachte Hierarchien und „Kommandoorganisationen“ aufzulösen, damit die Ideen aller Mitarbeiter auch bis zur Unternehmensführung durchdringen können.
Das ist zweifelsohne richtig. Tatsächlich reicht es aber nicht, die Empfangskanäle der Entscheider zu öffnen. Vielmehr müssen mögliche Ideengeber auch in der Lage sein bzw. in die Lage versetzt werden, über diese Kanäle adäquat klare Botschaften zu senden. Und zwar nicht nur nach oben, sondern in alle Richtungen, damit Teamarbeit und flache Hierarchien überhaupt funktionieren können.
Als könnten Fische fliegen
Dies ist aber leichter gesagt als getan. Das ergibt sich schon aus einer sehr einfachen Logik: Getriebene Führungskräfte senden in Wort und Tat offen oder unterschwellig Signale der Angst und Konfusion ins Unternehmen. Zu erwarten, dass Mitarbeiter in einem solchen Klima leichtfüßig in einen offenen Diskurs eintreten und mutig Ideen vorbringen oder gar Entscheidungen treffen, ist ebenso realistisch, als würde man von einem Fisch erwarten, dass er fliegt. Wurde ein Unternehmen über lange Zeit als Kommandoorganisation geführt, ist ferner davon auszugehen, dass die kommunikativen und persönlichen Fähigkeiten, die für mehr Eigenständigkeit auf allen Ebenen erforderlich wären, bei vielen verkümmert sind. Wer es gewohnt ist, vor allem nach Anweisung zu arbeiten, wird nicht über Nacht zur Eigeninitiative finden und zu der Fähigkeit, diese Initiative auch wirksam zu kommunizieren. Wer sich daran gewöhnt hat, andere herumzukommandieren, wird nicht von jetzt auf gleich zu einem Teamplayer mit kooperativem Kommunikationsstil.
Kommunikationsmuskeln aufbauen
Verlangt man Mitarbeitern diese Fähigkeiten trotzdem ab, ohne ihnen die Zeit und die Mittel zu geben, um diese (wieder) erlernen zu können, führt jeder „Agilitätsbefehl“ unweigerlich zu neuen Signalstörungen in den diversen Kommunikationsketten. Zuweilen muss man nämlich erst (wieder) lernen, was der Unterschied in der Tonalität zwischen einem Befehl und einer Bitte ist, schriftlich und mündlich, und am besten noch über diverse Sprachgrenzen hinweg. Auch Mitarbeiter, die über lange Zeit mit Angst oder Unsicherheit gelebt haben, werden nicht ohne weiteres zu einer sogenannten „Speak-Up-Kultur“ finden. Dafür muss erst wieder eine solide Vertrauensbasis gelegt werden. Und das dauert.
So braucht es auch für das Gelingen des äußeren Dialogs Raum und Zeit. Raum und Zeit, damit Vertrauen wachsen kann – in das Management und sich selbst. Raum und Zeit für gezielte Angebote, durch die Mitarbeitern die Möglichkeit gegeben wird, ihre Kommunikationsmuskeln wieder zu trainieren und aufzubauen, damit sie Informationen und Ideen angemessen und verständlich an die richtige Stelle bringen können. Außerdem benötigt man unterstützende Strukturen, wie etwa ein durchdachtes Wissensmanagement, das es allen Mitarbeitern ermöglicht, sich Fach-, Erfahrungs- und Erkenntniswissen für ihren eigenen inneren Dialog und die Kommunikation mit anderen anzueignen.
Wer es Menschen in einem Unternehmen erlaubt und sie durch einen strukturierten Ansatz in die Lage versetzt, die Dinge so, wie sie sind, gründlich zu reflektieren und adäquat zu kommunizieren, muss sich nicht fürchten vor Komplexität und Wandel. Er sorgt vielmehr dafür, dass der Boden unter den Füßen, der laut SZ verloren zu gehen scheint, peu à peu wieder zu einer tragfähigen Schicht wachsen kann. Und vielleicht stellt man irgendwann sogar fest, dass man diesen Boden gar nicht mehr immer und überall braucht, weil man mental und kommunikativ so souverän geworden ist, dass man sich am Himmel der scheinbar unendlichen Möglichkeiten dank eines funktionierenden inneren Kompass mit großer Leichtigkeit und sogar Freude bewegen kann.
Den zitierten Artikel finden Sie hier.