Vor einer Weile erschien in den Dresdner Neuste Nachrichten ein kurzer Artikel zu den Englischkenntnissen von Annegret Kamp-Karrenbauer. Sie selbst hatte eingeräumt, dass ihre Englisch- und Französischkenntnisse ausbaufähig seien und sie daran arbeite. Im Zweifelsfall bediene sie sich der Hilfe professioneller Dolmetscher. Statt sie für ihren verantwortungsvollen und umsichtigen Umgang mit den eigenen Fähigkeiten zu loben, wurde ihr ob ihrer ausbaufähigen Englischkenntnisse Häme zuteil.
Wie so vielen Menschen, die Englisch nicht zu ihren Kernkompetenzen zählen. Dabei ist die Fähigkeit, Fremdsprachen zu erlernen, in der Gesamtbevölkerung ebenso wenig gleichmäßig verteilt wie etwa eine mathematische Begabung. Das gilt für das Englische wie für jede andere Fremdsprache. Trotzdem gehört es in der Gesellschaft und in Unternehmen schon fast zum guten Ton, sich über Menschen lustig zu machen, die sich mit dem Englischen schwer tun. Sie gelten irgendwie als provinziell und eher unterbelichtet. Englisch hat man zu können. Got it?
Ein klassischer blinder Fleck
Diese Attitüde ist nicht nur unsachgemäß, sondern respektlos und besonders im Unternehmenskontext geradezu fahrlässig, führt sie doch zu beträchtlichen Risiken für das Unternehmen und die einzelnen Mitarbeiter sowie zu erheblichen Ineffizienzen. Denn hat sich erst einmal ein Klima breitgemacht, in dem die Beherrschung des Englischen zum einen als selbstverständlich gilt und zum anderen zu einer Statusfrage – wenn nicht sogar zu einer Charakterfrage – wird, werden im Unternehmen Probleme, die mit der Mehrsprachigkeit einer Belegschaft einhergehen können, systematisch ausgeblendet und dementsprechend nicht angegangen. Es entwickelt sich ein klassischer blinder Fleck.
Einsprachige und mehrsprachige Prozesse
Zum einen wird sich ein Unternehmen, das Englisch als Konzernsprache in dem Irrglauben einführt, dass alle schon irgendwie ausreichend Englisch können oder zu können haben, keine Gedanken über den Unterschied zwischen gelingenden einsprachigen und mehrsprachigen Abläufen machen. Ein einsprachiger Prozess ist nämlich mitnichten ein Prozess, in dem alle mehr oder weniger sicher Englisch sprechen. Lässt man Spezifika wie Fachsprache oder individuelle sprachliche Eigenheiten einmal beiseite, ist ein einsprachiger Prozess vielmehr einer, in dem alle Beteiligten in ihrer Muttersprache kommunizieren oder in einer Sprache, die sie wie eine Muttersprache beherrschen. Alle anderen Prozesse sind mehrsprachige Prozesse. Denn selbst wenn vordergründig alle Englisch sprechen oder schreiben, finden in den Köpfen der Nicht-Muttersprachler ständig Übersetzungsprozesse mit ungewissem Ausgang statt, je nach Sprachkenntnissen.
Signalstörungen durch ignorierte Mehrsprachigkeit
Mehrsprachige Prozesse erfordern grundsätzlich andere Herangehensweisen und Qualifikationen als einsprachige Abläufe. Ist sich ein Unternehmen nicht bewusst, wo und wann intern und in der Beziehung zur Außenwelt tatsächlich mehrsprachige Prozesse am Start sind (in internationalen Unternehmen praktisch überall und jeden Tag), ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es mit mehrsprachigen Abläufen so umgeht, als handele es sich dabei um einsprachige Prozesse. Dies führt unweigerlich zu multiplen (und zumeist unentdeckten) Signalstörungen im Informationsfluss.
So entstehen Missverständnisse und damit Engpässe und Verzögerungen, wenn etwa Berichts- und Eskalationswege so ausgelegt sind, dass mehrmals Sprachgrenzen hin und her überschritten werden, ohne dass man seriös überprüft, ob die eingebundenen Mitarbeiter tatsächlich über die nötigen Sprachkenntnisse verfügen, um diese Wege durchgängig zu halten, oder ob sie Unterstützung benötigen. Wird vor Beginn eines Projekts oder einer Zusammenarbeit nicht abgeklärt, welche Sprachkenntnisse erforderlich und bei den Beteiligten sicher vorhanden sind, sind Probleme bei der Zusammenarbeit vorprogrammiert. Wird eine Niederlassung in einem anderen Kulturkreis eröffnet, ohne dass man im Mutterhaus über Mitarbeiter mit den erforderlichen Sprach- und auch Kulturkenntnissen verfügt, um eine wirksame Kontrolle, Steuerung und Kooperation zu gewährleisten, können schwer kalkulierbare Risiken entstehen.
Ein Unternehmen, in dem ein derart blinder Fleck zuhause ist, wird auch nicht auf die Idee kommen, die erforderlichen Strukturen zu schaffen, um Mehrsprachigkeit und damit auch kulturelle Vielfalt im Unternehmen qualifiziert zu unterstützen und somit einen wirksamen und sicheren Informationsfluss über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg sicherzustellen. Mit dem ein oder anderen „Business-Englisch“-Kurs für eine auserwählte Gruppe von Mitarbeitern ist es nicht getan.
Wie Englisch-Scham mundtot macht
Wer die operativen Risiken von Mehrsprachigkeit im Unternehmen nicht ernst nimmt, wird auch das enorme Potenzial von „Diversity“ nicht heben. Vielmehr wird er sich immer wieder die Augen reiben und sich fragen, wo denn nur der Sand im Getriebe herkommt. Warum denn nur immer wieder Termine gerissen werden. Woher die Missverständnisse im Innern und mit der Außenwelt herkommen. Warum Aufgaben nur unvollständig erledigt werden. Das irgendwie Unerklärliche wird dann gerne in generischen Kategorien wie „menschliches Versagen“ oder „Kontrollschwäche“ zusammengefasst. Das ist nicht verwunderlich, denn wer würde in einer Welt des statusdefinierenden „Corporate English“ schon zugeben, dass er nicht ausreichend Englisch kann und deshalb z. B. die Vorgaben nicht genau verstanden hat, die von jemandem geschrieben wurden, der ebenfalls nicht so gut Englisch kann. Da hält man lieber den Mund – „Speak up Culture“ hin oder her.
Den Mund hält man übrigens auch lieber, wenn andere sich mit ihren Englischkenntnissen im Meeting profilieren. Etwa weil sie Muttersprachler sind oder zu denen gehören, denen ein besonderes Talent für das Erlernen von Fremdsprachen in die Wiege gelegt wurde. Ein Unternehmen, das dies stillschweigend zulässt, fördert die Herausbildung versteckter Hierarchien sowie eine interne Kolonialisierung, die einzig und allein auf der Beherrschung einer bestimmten Sprache beruhen. Mitarbeiter, die diese nicht so gut beherrschen, werden in einem solchen Umfeld nicht ihr ganzes Potenzial an den Konferenztisch und schon gar nicht in die Telko bringen.
Englisch als Tool
Unternehmen, für die sprachliche und damit auch kulturelle Vielfalt zu ihrer DNS gehört und die Wert auf risikoarme und wirksame Abläufe sowie auf den Schutz ihrer Mitarbeiter vor fremdsprachlich bedingten Fehlern legen, könnten deshalb auch mit Blick auf eine ordnungsgemäße Unternehmensführung gut beraten sein, ihre bisherige Vorgehensweise in Sachen Unternehmenssprache zu überprüfen.
Es ist ein legitimes und verständliches Anliegen, eine Sprache wie z. B. Englisch, nutzen zu wollen, um Kommunikation im gesamten Unternehmen auf einem bestimmten Niveau zu ermöglichen. Man sollte nur nicht glauben, es handele sich bei der ausgewählten Corporate Language um eine gemeinsame Sprache. Das ist sie nur für Muttersprachler. Vielmehr handelt es sich dabei um ein gemeinsam zu nutzendes Tool, das völlig losgelöst von der Persönlichkeit der einzelnen Mitarbeiter zu betrachten ist. Mit einer solchen Sichtweise kann sich der Umgang mit einer Unternehmenssprache versachlichen. Dann kann im Sinne eines ganzheitlichen Konzepts darüber nachgedacht werden, welche Strukturen, Prinzipien und Hilfsmittel das Unternehmen benötigt, um einen wirksamen und risikoarmen Informationsfluss für alle zu ermöglichen. Was ganz nebenbei auch Stress und Frustrationen reduzieren wird, die mit ständigen Signalstörungen einhergehen.
Jedes Unternehmen muss dabei entsprechend seiner Aufstellung einen eigenen Weg finden. Sich entschlossen auf diesen Weg zu machen, wird aber in jedem Fall reichlich belohnt werden. International agierende Firmen werden risikoärmer und effizienter. Sie werden das enorme Potenzial, das in ihrer Vielfalt steckt, besser heben können. Sie reduzieren kommunikationsbedingten Stress und Frustration bei Mitarbeitern und externen Partner. Und sie werden menschlicher, weil das Bewusstsein für sprachliche Unwägbarkeiten und Fallstricke wächst und damit die Chance besteht, dass weniger Menschen sich fühlen und behandelt werden wie Idioten.
(c) Sabine Breit