Merkwürdig ist es gerade. Alles steht still und trotzdem passiert so viel. Und alles gleichzeitig. Das Virus verbreitet sich exponentiell und ebenso exponentiell geht das Wirtschaftsleben in die Knie. Schwächen und Stärken werden sichtbar. Beim Einzelnen, wie in Gemeinschaften und Systemen. Der Zusammenhalt in der Gesellschaft wird auf eine Zerreißprobe gestellt. Alte Modelle und Ansätze bringen uns nicht mehr weiter. Standardlösungen erweisen ihre mangelnde Eignung.
Kein Wunder, dass es viele von uns gerade mit der Angst zu tun bekommen. Dass man den Überblick verliert. Dabei ist gerade Letzteres in Zeiten wie diesen, wie auch in jeder anderen Krise, von größter Bedeutung. Den Überblick zu behalten. Einzeln und gemeinsam. Für sich und für andere. Wer in Unternehmen gerade aufmerksam unterwegs ist, wird feststellen, dass es Mitarbeiter gibt, die dies besser können als andere. Menschen, die die Ruhe bewahren und genau zuhören, die Informationen aus unterschiedlichen Quellen einsammeln und gründlich verarbeiten, um diese dann so zu vermitteln, dass alle es verstehen und mit im Boot sind.
Offene Empfangs- und Sendekanäle
Was macht diese Menschen aus? Vereinfachend kann man sagen, sie verfügen über offene Empfangs- und Sendekanäle. Und das beginnt im Innenleben. Auf welche Weise auch immer, ist es diesen Menschen gelungen, eine Präsenz, Gelassenheit und innere Offenheit auszubilden, die es ihnen ermöglicht, vorurteilsfrei rauszugehen, zu beobachten, zuzuhören und so zu erfassen, was wirklich ist. Wie die Situation im Hier und Jetzt wirklich aussieht. So sind sie in der Lage, verschiedenen Experten und Standpunkten genau zuzuhören und sich diese erklären zu lassen, ohne der Versuchung zu erliegen, sich kurzschlussartig auf eine Seite zu schlagen.
Dank ihrer inneren Offenheit und Wahrnehmungsstärke können sie diese Informationen objektiv verarbeiten und zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Und gegebenenfalls auch nochmal nachfragen und um Klärung bitten. Weil sie zumeist auch kein großes Ego daran hindert, fehlendes Wissen oder Verständnis zuzugeben.
Ferner verstehen sie es, dieses Gesamtbild leicht verständlich und in der richtigen Tonart zu vermitteln. Dabei verwechseln sie Transparenz nicht mit dem Abladen schwer einzuordnender Datenhalden, nur damit man sie selbst los ist. Gleichermaßen sind sie keine „Storyteller“, denn es geht nicht um einen „Spin“ oder ein leicht verdauliches Geschichtchen. Vielmehr geht es um Ehrlichkeit. Darum, ein aktuelles, wahrheitsgemäßes Gesamtbild so zu vermitteln, dass die Empfänger weder in Schockstarre noch in hektischen Aktionismus verfallen, sondern auch in Krisen besonnen und handlungsfähig bleiben. Und zuversichtlich. „Erklärer“ verfügen nämlich auch über die nötige Empathie, um Menschen in schwierigen Zeiten – real oder virtuell – bei der Hand zu nehmen bzw. ihnen einen Raum zu geben, in dem Sorgen und Ängste stattfinden dürfen, ernstgenommen werden und sich dann auch auflösen können.
Erklärer finden und sich entwickeln lassen
Zuweilen sind diese tragenden Säulen in Krisenzeiten nicht unbedingt die, von denen man es erwartet hätte. Es lohnt sich aber, nach diesen Menschen Ausschau zu halten und sie sich für „höhere“ Aufgaben im Unternehmen zu merken. Denn wer in einer Krise souverän mit Komplexität umgehen kann, kann es im Tagesgeschäft allemal
Wenn die akuteste Phase der Krise vorbei ist, kann man sich auch überlegen, wie man die Fähigkeiten, über die die Erklärer verfügen, großflächiger im Unternehmen zum Gedeihen bringen kann. Denn zum Erklärer wird man nur selten geboren. Zumeist ist man durch verschiedene Erfahrungen und ernsthafte Arbeit an der eigenen Persönlichkeit dazu geworden.
Unternehmen können einen Rahmen für diese Entwicklung bieten. Etwa indem sie Angebote bereitstellen, die die Kommunikations- und Reflexionsfähigkeit der Mitarbeiter fördern. Oder indem sie auf vielfältige Weise Zeit und Raum schaffen, in dem Persönlichkeit und Besonnenheit reifen können. Das kann damit beginnen, dass man Mitarbeitern explizit vermittelt, dass E-Mails nicht alle umgehend beantwortet und nicht alle Entscheidungen im Sekundentakt gefällt werden müssen. Und es kann darin münden, dass man Meditationsräume oder Dachgärten einrichtet bzw. anlegt und die Mitarbeiter einlädt, diese auch während ihrer Arbeitszeit zu nutzen. Oder irgendetwas dazwischen, ganz wie es zum Unternehmen passt. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Was auch immer dazu beiträgt, geistige Offenheit, Besonnenheit und Kommunikationsfähigkeit zu stärken, stärkt auch die Zukunftsfähigkeit und Krisenfestigkeit eines jeden Unternehmens.
© Sabine Breit